Nicht ohne meine Handakten! Wenn der Rechtsanwalt auch nach Mandatsende die Unterlagen nicht rausrückt...

„Ich sage nichts ohne meinen Anwalt!“ Wer kennt diesen Satz aus einschlägigen Fernsehsendungen nicht? Doch auch in der Realität bewahrheitet er sich häufig, denn es gibt einfach Auseinandersetzungen im Leben, die lassen sich nicht so leicht klären. Retter in der Not ist dann ein Anwalt; er kennt sich aus im Paragraphendschungel, macht Notizen zum Fall und sammelt alle Unterlagen, die irgendwie im Zusammenhang mit der Mandatsbearbeitung stehen. Doch was passiert eigentlich mit diesen mühevoll geführten Handakten, wenn der Mandant beschließt, seinen Anwalt zu wechseln? Muss der „alte“ Anwalt sie rausrücken?

Bei einem Tauziehen um genau solche Handakten sind wir heute live auf den VIP-Plätzen der exali.de Info-Base dabei – wer hat am Ende das kürzere Stück des Taus auf seiner Seite: Ex-Mandant oder Ex-Anwalt?

Nein, meine Handakten gehören mir!

Zum Tauziehen bereit: Auf der einen Seite steht startklar ein Ehepaar aus Neuss mit seinem „neuen“ Rechtsvertreter, auf der anderen Seite versucht der „alte“ Anwalt mentale Stärke zu beweisen. Los ging’s im Tauziehen-Wettstreit bereits in 2008, als der angeschuldigte Rechtsanwalt aus Neuss in eine Kanzlei nach Krefeld wechselte – und zwar während er das Ehepaar in drei gerichtlichen Verfahren in Neuss vertrat. Diese bevorzugten daraufhin einen Anwalt in Neuss, also vor Ort, mit der weiteren Verfolgung der Rechtsstreitereien zu beauftragen und forderten den „alten“ Anwalt von Juni 2008 bis September 2012 auf, die für die Weiterführung des Mandats notwendigen Handakten rauszurücken..

Handakten – was gehört dazu?

Leider vergeblich, denn aus welchen Gründen auch immer sah es der nun beschuldigte Anwalt nicht ein, die Handakten dem neuen Anwalt zukommen zu lassen und ihm so eine Menge Arbeit zu ersparen. Das Ehepaar und ihr neu beauftragter Anwalt hatten also weder Zugriff auf die Originalunterlagen, die im Rahmen der Mandatsbearbeitung getätigten Korrespondenzen, die Post von Dritten und die in mühevoller Kleinarbeit gefertigten Gesprächsnotizen – und das, obwohl der Anwalt sein Honorar bereits auf seinem Konto hatte. Deshalb ist an sich kein Grund mehr erkennbar, der das Zurückhalten der Handakten in irgendeiner Weise rechtfertigen würde.

Berufsethos durch gravierendes Fehlverhalten verletzt

So sah das auch der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen im zweiten Anlauf (Az. 1 AGH 1/15, Urteil vom 29.05.2015) und bläst damit ins gleiche Horn wie der Bundesgerichtshof: Das anlasslose Zurückhalten von Handakten stellt ein „gravierendes Fehlverhalten“ dar.

„Denn der Mandant übergibt dem Rechtsanwalt seine Unterlagen zur Besorgung des Auftrages in dem Vertrauen, dass dieser – sein Rechtsanwalt – sich für ihn einsetzt und sich zumindest rechtmäßig verhält. Kommt es, aus welchen Gründen auch immer, zu einer Beendigung des Mandats und der Mandant verfolgt seine Rechtsangelegenheiten auf anderem Wege, etwa mit Hilfe eines anderen Rechtsanwalts weiter, kann er mit Fug und Recht erwarten, dass er seine dem früheren Bevollmächtigten ausgehändigten Originalunterlagen zurückerhält.“

Zwar sei die Herausgabe nicht ausdrücklich in § 50 BRAO geregelt, aber durchaus der Generalklausel des § 43 BRAO in Verbindung mit §§ 675, 667 BGB und inzident auch der Vorschrift des §50 BRAO zu entnehmen. Insofern muss sowohl eine zivil- als auch eine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe solcher Handakten bejaht werden.

Vermögensschaden? Die Anwalts-Haftpflicht hilft!

Der Gewinner des Tauziehens steht also fest: Wenngleich das Anlegen der Handakten für den Anwalt ein eigener, mühevoller Verdienst war, nach Ende des Mandats gehören die Handakten nun mal dem Mandanten; Sturheit wird wie im vorliegenden Fall sogar mit einer Geldbuße bestraft. Ob dem Ex-Mandanten konkrete Nachteile (z.B. ein Vermögensschaden wegen der Nichteinhaltung einer Frist) durch das Zurückbehalten der Unterlagen entstanden sind, ist uns nicht bekannt. Wenn dem aber so wäre, könnte der Anwalt zumindest hierbei auf seine anwaltliche Pflichtversicherung zählen. Die Anwalts-Haftpflicht von exali.de zum Beispiel bietet in Deutschland zugelassenen Versicherungsnehmern den gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht-Versicherungsschutz unter anderem für Vermögensschäden dieser Art.

 

© Nicole Seibert – exali AG