IT-Lösungen für Rechtsanwälte: Chancen und Risiken der „digitalen Kanzlei“

Regale voller Akten, Berge von Unterlagen und ein Diktiergerät, von dem die Sekretärin später die Mandantenkorrespondenz abtippt. Was in unseren Köpfen das Bild einer typischen Anwaltskanzlei entstehen lässt, könnte bald der Vergangenheit angehören, denn die IT-Entwicklung macht an der Kanzleitür keinen Halt. IT-Entwickler haben Anwaltskanzleien für sich entdeckt und so wurde in den vergangenen Jahren immer mehr Software programmiert, die den Arbeitsablauf eines Anwalts vereinfachen sollen.

Aber mit der „digitalen Kanzlei“ gehen auch Risiken einher. Hackerangriffe und Datendiebstahl machen eben auch vor einer Anwaltskanzlei nicht halt. Da bei exali.de nicht nur die Absicherung von Rechtsanwälten, sondern auch IT-Entwickler und ihr Business im Fokus stehen, wollen wir sowohl das Potenzial als auch die Risiken von IT-Systemen in der Anwaltskanzlei näher betrachten.

Experteninterview: IT in der Anwaltskanzlei

Ein echter Experte auf dem Gebiet ist Harold Treysse, er ist Unternehmensberater für Rechtsanwälte und Notare. Er kennt die Trends und Anforderungen in Sachen spezifischer Anwalts-IT. Derzeit führt er auf seiner Unternehmensseite eine Umfrage zur Informationstechnik in der Anwaltskanzlei durch.

Aus diesem Anlass haben wir Harold Treysse zum Interview gebeten und erfahren von ihm nicht nur, was derzeit Trend ist, sondern auch was die Zukunft an IT in die Anwaltskanzlei bringen wird:

 

Informationstechnik für Anwaltskanzleien, was kann ich mir darunter vorstellen?

Während sich die Anwälte in der Vergangenheit auf die Fallbearbeitung beschränkten, haben sie zwischenzeitlich festgestellt, dass sie nicht nur als Organ der Rechtspflege tätig sind, sondern auch ein Wirtschaftsunternehmen „Anwaltskanzlei“ unterhalten und managen müssen.

Bereits seit den 70er Jahren gibt es Softwareprodukte für die Anwaltschaft, die sich überwiegend auf Aktenanlage und Teile der Fallbearbeitung, wie z. B. Zwangsvollstreckung oder auch Kostenberechnungen beschränkte.

Erst in den letzten Jahren haben die Softwarehersteller die notwendigen betriebswirtschaftlichen Komponenten der Software hinzugefügt, die es ermöglicht, ein Unternehmen effizient zu führen, wie z. B. Tools für Controlling, Dokumentenmanagement, Customer Relations Management, um nur einige wichtige Tools zu nennen.

Aus den früheren Diktaten mittels Stenografie oder Bandgeräten haben sich digitale Diktate und zwischenzeitlich auch Spracherkennung entwickelt und in den Kanzleien etabliert.

 

Die Umfrage zur Informationstechnik in der Anwaltskanzlei machen Sie seit 2010 jedes Jahr. Wohin geht der Trend „IT für Anwälte“?

Der Trend der anwaltlichen Informationstechnik passt sich zwischenzeitlich den wirtschaftlichen Anforderungen an. So ist festzustellen, dass Wissensmanagement, also die Verwaltung vorhandenen Know-How „im Kommen“ ist. Auch betriebswirtschaftliche Komponenten halten immer mehr Einzug in die Kanzleien. (Hier geht´s zur Umfrage Informationstechnik in der Anwaltskanzlei, die Umfrage läuft noch bis 31.10.2014)

 

Ohne welche IT kommt der wettbewerbsfähige Anwalt 2014 nicht mehr aus?

Nun, dieses wird sich nicht in 2014 allein entscheiden. Durch das am 16.10.2013 verkündete „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ wird spätestens im Jahr 2018 der gesamte Schriftverkehr zwischen Anwalt und den Gerichten elektronisch durchgeführt werden. Die Vorbereitungen der Bundesrechtsanwaltskammer zur Schaffung der „besonderen elektronischen Anwaltspostfächer“ haben zwischenzeitlich begonnen.

Unabhängig davon wird die Mandantenpflege über CRM-Module zukünftig einen Schwerpunkt bilden und Diktate, die durch eine Schreibkraft geschrieben werden müssen, werden immer mehr der Vergangenheit angehören.

Alles dieses sind Schwerpunkte, die die Anwaltschaft jetzt erkannt hat und in die tägliche Arbeit integrieren muss. Das aber wird nur mit umfassender IT-Unterstützung möglich sein.

 

Keine Chancen ohne Risiko. Wo liegen denn die Risiken, wenn Anwälte Webanwendungen und Tools in ihre tägliche Arbeit integrieren?

Die Risiken von Webanwendungen, sei es die Nutzung der Cloud oder aber auch der einfache E-Mail-Verkehr liegen im Bereich der Verschwiegenheitspflicht und der Strafbarkeit nach § 2013 StGB bei Verletzung dieser Obliegenheit. Dieses haben natürlich auch die Softwarehersteller erkannt und entsprechende Tools geschaffen, wie z. B. die „WebAkte“, die es ermöglicht, bei Aktenaktualisierung durch Posteingang etc. den Mandanten hierüber zu informieren.

Dieser kann dann passwortgeschützt auf seine Akte zugreifen und die Aktualisierung nachvollziehen bzw. sich für ihn vorliegende Information herunterladen.
Dieses ist nur ein Beispiel, wie die Risiken gemindert oder vermieden werden können. Ungesicherte E-Mail an den Mandanten zu versenden, also ohne Verschlüsselung, halte ich für absolut fahrlässig. Leider wird dieses heute noch zu oft praktiziert.

 

Zukunftsmusik: Welche Tools werden unbedingt noch gebraucht, aber sind noch nicht entwickelt / zu kaufen?

Als erstes fehlendes Tool würde mir ein vernünftiges Workflow-Tool einfallen, also ein Tool, mit dem die vorhandene „Anwaltssoftware“ auf die Erfordernisse der jeweiligen Kanzlei, also Geschäftsprozesse und Abläufe, angepasst werden kann. Ein solches Tool würde die entsprechende „Anwaltssoftware“ zu einem führenden Produkt machen. Wir haben heute in Deutschland rd. 40 – 50 verschiedene Programme für die Anwaltschaft. Mir ist bisher keines bekannt, welches diese Möglichkeit bietet.

Auch die Nutzung von SaaS (Software as a Service) ist in der Anwaltschaft noch nicht angekommen. Bei dieser Verarbeitung ist die gesamte IT-Infrastruktur ausgelagert und der Anwender greift über einen WebBrowser zu. Sicherheitsmöglichkeiten sind ausreichend vorhanden. Wirtschaftlicher wäre es für die Anwaltskanzlei im Zweifel auch.

Über den Interviewpartner:

Harold Treysse ist Inhaber der Organisationsberatung Treysse, einer Organisationsberatung speziell für Rechtsanwälte und Notare. Er war jahreslang als Operations Manager und Regional Operations Coordinator Germany einer internationalen Anwaltskanzlei tätig. Seine Schwerpunkte sind Projekt- und Prozessmanagement, Beratung in anwaltsspezifischer Informationsbearbeitung sowie Datenschutz.

»Hier geht´s zur Umfrage Informationstechnik in der Anwaltskanzlei, die Umfrage läuft noch bis 31.10.2014

Weiterführende Informationen:

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