Scheinselbständigkeit: Deutscher Bundestag beschließt Änderungen zum Januar 2022

„Wir stellen fest, dass ein wichtiges Anliegen für Selbständigkeit in einer unangemessenen Form politisch behandelt wird“, mit diesem Satz beginnt ein von 36 Berufsverbänden gezeichneter Protestbrief, der sich an den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) richtet. Der Grund für den Protest sind vom Deutschen Bundestag beschlossene Änderungen am viel kritisierten Statusfeststellungsverfahren, welche ohne Einbeziehung der Selbstständigen-Verbände erfolgten.

Scheinselbständigkeit durch Statusfeststellungsverfahren

Scheinselbständigkeit ist seit Jahren ein viel kritisiertes und diskutiertes Thema: Selbständige fühlen sich unter Generalverdacht gestellt und wie wir bereits in unserem Artikel Angst vor Scheinselbständigkeit ausführlich berichteten, setzt sich der Trend, dass innovative Projekte ins Ausland wandern, fort. Grund dafür ist die undurchsichtige Gesetzeslage des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV), mit dem die Deutsche Rentenversicherung feststellt, ob jemand selbstständig oder angestellt beschäftigt (abhängig beschäftigt) ist.

„Das Problem an der ganzen Sache ist: Die Rentenversicherung hat das Verfahren in den letzten Jahren immer mehr so ausgelegt, dass Leute, bei denen man mit gesundem Menschenverstand sagen würde, ‚Das sind doch Selbstständige‘ plötzlich Angestellte, also abhängig Beschäftigte sein sollen“, erklärte uns Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) bereits 2019 in einem Interview. Nun hat der Deutsche Bundestag relativ überraschend am 20. Mai 2021 einige Änderungen am Statusfeststellungsverfahren beschlossen.

Protestbrief von 36 Berufs- und Interessensverbänden

Innerhalb von einer Woche wurden die Änderungen am Statusfeststellungsverfahren vom Deutschen Bundestag beschlossen. Am 12. Mai 2021 gab es den Kabinettsbeschluss und am 20. Mai 2021 die Verabschiedung im Bundestag. Zur öffentlichen Anhörung der Gesetzesänderungen waren nur die Deutsche Beamtenversicherung (DBV) sowie die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zugelassen, aber keine der betroffenen Interessen- und Berufsverbände für Selbstständige. Etwas, dass 36 dieser betroffenen Verbände dazu veranlasst hat, einen Protestbrief an Bundesarbeitsminister Heil, sowie an die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD und die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu verfassen.

Die klare Forderung der Berufs- und Interessenverbände ist „eine sofortige Einbeziehung in das laufende Verfahren oder dessen unverzüglichen Abbruch“. Neben dem VGSD beteiligte sich auch der Bundesverband Selbständige Wissensarbeit (ADESW) an dem Protestbrief. Neben der „kurzfristigen, nahezu geheimen Abwicklung des Gesetzesvorhabens“ kritisieren die Verbände vor allem, dass wichtige, bereits länger geforderte Veränderungen (wie zum Beispiel die Umsetzung des Barrierefreiheitsgesetztes) keine oder keine ausreichende Beachtung fanden.

Statusfeststellungsverfahren: Was soll sich ab Januar 2022 ändern?

Die vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderungen am Statusfeststellungsverfahren lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Versicherungspflicht wird separat von Statusfeststellung ermittelt

Hierbei handelt es sich um die wahrscheinlich wichtigste Änderung, die festlegt, dass die Feststellung der Versicherungspflicht kein Element des Statusfeststellungsverfahrens mehr ist. Das bedeutet: Die DRV prüft weiterhin, welcher Erwerbsstatus vorliegt (selbstständig oder abhängig berufstätig), Themen wie Sozial-, Renten- und Krankenversicherung müssen dann aber separat geklärt werden.

Der VGSD kritisiert in einem Statement zu den Gesetzesänderungen, dass die Änderung zudem vorschreibt, dass die Feststellung des Erwerbsstatus basierend auf einzelnen Auftragsverhältnissen geprüft wird. Das bedeutet: Für jedes Projekt bei jeder/m Auftraggeber:in einzeln, statt eine generelle personen- oder zumindest tätigkeitsbezogene Feststellung einzuführen. Denn: Die Feststellung einer Beschäftigung bedeutet nicht unbedingt, dass auch Beitragspflichten anfallen. Faktoren wie Geringfügigkeit der Tätigkeit, Rentenalter und so weiter spielen hier eine Rolle. Bei einer falschen Beurteilung drohen Auftraggeber:innen hohe Nachforderungen.

Dreiecksverhältnisse

Mit Dreiecksverhältnis sind Verträge gemeint, die über eine Vermittlerfirma zustande kamen (Dreieck Selbstständige – Contracting-Unternehmen – Endkunden und Endkundinnen (Auftraggeber:innen)). Anders als bisher solle es nun keine zwei getrennten Verfahren hierfür mehr geben, sondern Auftraggeber:innen können direkt miteinbezogen werden. Unklar ist aber, wem diese Verfahrenserleichterung nutzen soll: den Betroffenen oder der DRV bei der Ermittlung einer gesamtschuldnerischen Haftung.

Prognoseentscheidung:

Die Reform sieht vor, dass nun bereits vor Aufnahme einer Tätigkeit über den Erwerbsstatus entschieden werden kann. Auf Basis der vertraglichen Regelungen und der beabsichtigen Vertragslaufzeit kann es eine Abschätzung geben – entscheiden sich die Regelungen und Laufzeiten anschließend in der Praxis, ist es möglich, dass die Entscheidung korrigiert wird. Im Umkehrschluss bedeutet das für Selbstständige: Eine Rechtssicherheit besteht nur, wenn es keine Abweichungen der im Vorfeld beschlossenen Vereinbarungen gibt beziehungsweise diese Abweichungen unverzüglich gemeldet werden.

Problematisch ist außerdem, dass es keine ausreichende Präzisierung zu folgenden Punkten gibt:

Gruppenfeststellung:

Dies bedeutet, dass Selbstständige oder Auftraggeber:innen eine gutachterliche Prüfung seitens der DRV zur Gruppenfeststellung anstoßen können. Voraussetzung hierfür sind eine Übereinstimmung der Ausführung und einheitliche Vertragsvereinbarungen. Auch hier fehlt allerdings eine Präzisierung bezüglich:

Mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren

Die neue Regelung sieht vor, dass alle Beteiligten des Verfahrens die Möglichkeit bekommen, einen Antrag auf eine mündliche Anhörung zu stellen.

Rechtsunsicherheit bleibt bestehen

Das große Manko der verabschiedeten Änderungen ist klar: Durch die fehlende Präzisierung bleibt weiterhin die Rechtsunsicherheit, sowohl für Selbstständige als auch Auftraggeber:innen bestehen. Die Interessen- und Berufsverbände kritisieren deshalb die Änderungen scharf und suchen weiterhin das Gespräch mit der Politik.

Surftipp:

Alle Informationen und Neuigkeiten zum Thema Scheinselbstständigkeit finden Sie auch auf der Seite des VGSD: VGSD Scheinselbständigkeit

Bestens abgesichert als Selbständige:r

Sollten die Änderungen am Statusfeststellungsverfahren im Januar 2022 in der aktuellen Form in Kraft treten, bleibt das Risiko der Scheinselbständigkeit auch weiterhin bestehen. Genauso wie das Risiko, für finanzielle Nachteile des ehemaligen Auftraggebers oder der ehemaligen Auftraggeberin (jetzt Arbeitgeber:in) nachträglich in Haftung/Regress genommen zu werden.

Um vor diesen und anderen Haftungsszenarien möglichst umfassend  abgesichert zu sein, empfiehlt sich eine Berufshaftpflichtversicherung über exali.de abzuschließen. Damit sind Sie als Selbständige:r oder Freelancer:in gegen Rechtsverletzungen, Schadenersatzforderungen von Kunden und Kundinnen oder Auftraggeber:innen sowie weitere Vermögensschäden abgesichert. Im Falle einer Abmahnung etwa, prüft der Versicherer auf eigene Kosten, ob es sich um eine berechtigte Forderung handelt und übernimmt in diesem Fall die Schadenersatzkosten, während unberechtigte Forderungen in Ihrem Namen abgewehrt werden.

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