Urheberrechtsstreit um „Das Tagebuch der Anne Frank“: Wer gilt als Autor?

Es ist ein Buch, das uns Einblick in den Horror des dritten Reiches gibt, in eine glücklicherweise längst vergangene Zeit. Das Tagebuch der Anne Frank ist ein Mahnmal voller Authentizität und Geschichte, das nun vermutlich ins Zentrum mehrerer Rechtsstreits rückt. Dabei geht es vordergründig um die Entscheidung, wer juristisch tatsächlich als Autor des Buches anzusehen ist. Hinter dieser Entscheidung steht jedoch eine ganz andere Diskussion.

Fragen rund ums Urheberrecht beschäftigen regelmäßig unsere InfoBase, weshalb wir heute auch diesem sensiblen Fall seinen Raum geben wollen.

Das Tagebuch der Anne Frank bald gemeinfrei?

Anfang 1945 starb das damals 15 Jahre alte jüdische Mädchen Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Nach deutschem Urheberrecht wird deshalb ihr zwischen 1942 und 1944 verfasstest Tagebuch, zum 1. Januar 2016 (also 70 Jahre nach ihrem Tod) gemeinfrei.

Info: Gemeinfreiheit bedeutet, dass an der geistigen Schöpfung (also am Tagebuch von Anne Frank) keine Immaterialgüterrechte beispielsweise Urheberrechte bestehen, sie also zur Verwendung freigegeben sind. Gemeinfreiheit kann sich in unterschiedlichen Faktoren begründen, zum Beispiel durch Zeitablauf (70 Jahre nach dem Tod von Anne Frank wird ihr Tagebuch also gemeinfrei), strukturelle Gemeinfreiheit (ein Werk besitzt nicht ausreichend Individualität oder Originalität, um Schutzfähigkeit zu rechtfertigen), Entlassung in die Gemeinfreiheit (der Urheber tritt seine Rechte ab) oder durch Schrankenbestimmungen (Aufhebung der Immaterialgüterrechte für bestimmte Verwendungen).

Doch „Das Tagebuch der Anne Frank“, so wie es die meisten kennen, sind nicht die unbearbeiteten Originalschriften des Mädchens, sondern bearbeitete Versionen. Genau aus diesem Grund drohen der schweizer Stiftung „Anne Frank Fonds“, die die Rechte an dem Tagebuch besitzt und verwaltet, in den kommenden Monaten vermutlich gleich mehrere Rechtsstreits.

Gibt es einen Co-Autor für „Das Tagebuch der Anne Frank“?

Zahlreiche Medien berichteten in den vergangenen Tagen darüber, dass die Stiftung versuche den Vater von Anne Frank als Co-Autor von „Das Tagebuch der Anne Frank“ anerkennen zu lassen. Die Medienberichte implizieren dabei, die Stiftung wolle diesen „Trick“ nutzen, um auch in Zukunft weiter die Rechte am Tagebuch zu haben. Was letzten Endes noch jahrzehntelange Einnahmen für die Stiftung bedeuten würde, denn der Vater Otto Frank ist 1980 verstorben.

Wir haben uns nun persönlich mit der Stiftung in Verbindung gesetzt und dabei erfahren, dass die Medienberichte so nicht richtig sind! Nach eigener Aussage will die Stiftung keinesfalls, dass Otto Frank in Zukunft als offizieller Co-Autor der Tagebücher gilt. Die Streitigkeiten finden demnach nicht auf literarischer, sondern auf juristischer Ebene statt.

Die verschiedenen Versionen des Tagebuchs und die Frage nach der Gemeinfreiheit

Um die Diskussion um das Tagebuch zu verstehen und zu zeigen, wie kompliziert das Thema Gemeinfreiheit häufig ist, macht es Sinn, sich die drei Versionen der Tagebücher anzusehen:

Die Original-Aufzeichnungen von Anne Frank werden 2016 in Deutschland gemeinfrei!

Und daran will die Stiftung auch nicht rütteln (zumindest hat sie dazu in Deutschland keine juristische Grundlage, in anderen Ländern der EU und der Welt sind die Regelungen für Gemeinfreiheit teilweise deutlich strenger). Also versucht die Stiftung nach eigener Aussage nicht, den Vater zum Co-Autor der Tagebücher seiner Tochter zu machen.

Der Streit dreht sich um die beiden Lesebuch-Ausgaben von 1963 und 1991. Die Stiftung argumentiert, beide Ausgaben des Tagebuchs seien maßgeblich durch die geistige Schöpfung von Otto Frank, beziehungsweise Mirjam Pressler entstanden und demnach sehr wohl weiterhin geschützt – die beiden hätten ein eigenes Copyright auf ihre jeweilige Adaption, so der Verlag. Die Stiftung gibt an, dass mehrere Gutachten zu den einzelnen Werken angefertigt wurden, die belegen sollen, dass die Version von 1963 und auch die Version von 1991 genug kreative Leistung von Vater bzw. Autorin enthalten, um nicht unter strukturelle Gemeinfreiheit (siehe Infokasten) zu fallen.

Achtung bei angeblich gemeinfreien Texten!

Die Geschichte von „Das Tagebuch der Anne Frank“ zeigt, dass Gemeinfreiheit tagtäglicher Bestandteil der deutschen Literatur ist und sowohl für Journalisten, als auch Autoren ein rechtlich schwieriger Bereich. Die Stiftung „Anne Frank Fonds“ kündigt beispielsweise auf ihrer Homepage an, dass bei Rechtsverletzungen im Zweifel juristische Schritte eingeleitet werden und Schadenersatzforderungen folgen.

Weiterführende Informationen:

© Sarah-Yasmin Fließ – exali AG