Endlich Rückenwind: Kommt jetzt der Durchbruch in Sachen Scheinselbständigkeit?

„Schon heute ist sichtbar, dass die Digitalisierungsexperten ins Ausland abwandern“, heißt es in einem Brief, den 15 Vorstände deutscher Konzerne an Arbeitsminister Heil geschrieben haben und der sich wie ein Hilferuf liest. Der Grund ist die Rechtsunsicherheit beim Thema Scheinselbständigkeit, gegen die Verbände, Freelancer und Unternehmen Sturm laufen. Nun gibt es endlich Rückenwind aus der Industrie. Und auch aus den Medien: Das Wirtschaftsmagazin brand eins greift das Thema mit einem aufsehenerregenden Artikel auf. Ändert sich jetzt endlich etwas?

Medien und Industrie: Der Druck auf die Bundesregierung wächst

Zwei Studien bestätigen mittlerweile, dass Projekte ins Ausland abwandern, weil es noch immer keine Rechtssicherheit beim Thema Scheinselbständigkeit gibt. Von Übertreibungen oder Hirngespinsten kann also keine Rede sein. Jetzt wächst der Druck auf die Bundesregierung, auch von Seiten der Medien. Kennen Sie noch die Stern-Titelstory aus den 70er Jahren mit dem Titel „Wir haben abgetrieben“? Diese hat sich das Wirtschaftsmagazin brand eins als Vorlage genommen und für einen Artikel zum Thema Scheinselbständigkeit das gleiche Bild gewählt. Dieses Mal „outen“ sich Freelancer und sagen: „Wir sind scheinselbstständig!“ Im Artikel erzählen Berater, Psychologen, Entwickler, Informatiker und andere Freelancer, warum sie selbständig arbeiten und wie ihnen die Rechtsunsicherheit das Leben schwer macht.

Ein SAP-Berater sagt beispielsweise:

 
 
„Ich muss in schlechter bezahlte Zeitarbeit wechseln und meine kleine Firma aufgeben.“

Ein selbständiger Unternehmensberater beklagt: „Der Beauftragungsprozess für meine Kunden wird aufgrund rechtlicher Vorbehalte jeden Tag schwieriger. Das kommt einem Arbeits- bzw. Gewerbeverbot gleich. Dieser Zustand ist inakzeptabel. Ich gründe eine neue Firma im Ausland.“ So oder so ähnlich ergeht es vielen Selbständigen. Von Auftragsrückgängen, Projektstopp und Abwanderung ins Ausland ist die Rede.

 

Geballte deutsche Wirtschaftsmacht steht hinter Freelancern

In einem weiteren Artikel berichtet brand eins über den Brief, den – wie jetzt bekannt wurde –  Vorstände von 15 großen deutschen Unternehmen vor einigen Wochen an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geschrieben haben. Darunter BASF, Beiersdorf, Daimler und die Deutsche Telekom. Sie beklagen, dass sie durch die aktuellen Regelungen zum Thema Scheinselbständigkeit in Sachen Digitalisierung nicht wettbewerbsfähig bleiben können. Denn für Digitalisierung brauchen sie Spezialisten. Und diese wandern aufgrund der unsicheren Situation hierzulande ins Ausland ab. Oder die Unternehmen geben ihre Projekte ins Ausland:

 
 
„Wir wollen keine Unternehmensbereiche ins Ausland verlagern. Doch die IT- und Digital-Expertise ist für uns unerlässlich“,

heißt es in dem Brief.

Die Vorstände beschreiben, dass sich die Projektarbeit in den letzten Jahren sehr stark verändert hat. Früher arbeiteten Unternehmen linear, die Anforderungen und die Maßnahmen zur Umsetzung seien von Projektbeginn an klar gewesen. Heute seien Projekte viel komplexer. Bei der agilen Scrum-Methode müsse in einem gemeinsamen Entwicklungstool digital zusammengearbeitet werden. Projekte könnten mehrere Jahre dauern.

36 Seiten: Rechtssichere Beauftragung von Freelancern fast unmöglich

Und genau hier liegt das Problem: Über eine lange Zeit und komplexe Projekte hinweg Freelancer rechtssicher zu beauftragen, sei kaum möglich. So berichtet beispielsweise Robert Zores, Chief Technical Officer der Rewe-Tochter Rewe Digital, von einem Fall, in dem Juristen für einen freiberuflichen Entwickler einen 36-seitigen Vertrag verfasst hatten:

 
 
„Das unterzeichnet kein freiberuflicher ITler, er braucht seinerseits juristischen Beistand, um den Vertrag zu prüfen. Der rechtliche Rahmen ist schlicht weltfremd.“

Die Konsequenz: Seine Firma hat vor zwei Jahren einen Standort in Bulgarien mit 50 Mitarbeitern aufgebaut und lagert Projekte aus.

Circa jedes siebte bis achte Unternehmen in Deutschland beauftragt bereits keine Freelancer mehr. Denn werden Selbständige im Nachhinein als scheinselbständig eingestuft, müssen Auftraggeber rückwirkend bis zu vier Jahre Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil), also rund 40 Prozent des Honorars, nachzahlen. Dazu kommen Prozesskosten und Säumniszuschläge.

Auch die Rechtslage sei unklar. Es gebe nicht einmal eine eindeutige Definition von Scheinselbständigkeit, sagt der Sachverständige für Sozialversicherungsrecht Hartmut Paul: „Die Kriterien ändern sich von Prüfer zu Prüfer. Trainer in Fitness-Studios zum Beispiel werden in Berlin als Scheinselbstständige eingestuft, vor dem Sozialgericht in Köln als Selbstständige.“

Viele Fragen, keine Antworten

In ihrem Brief stellen die Vorstände außerdem konkrete Fragen an das Bundesarbeitsministerium. Zum Beispiel, ob im Rahmen von Scrum in gemischten Teams gearbeitet werden darf, oder ob Aufgabenstellungen im Backlog als Einzelaufträge interpretiert werden können. Viele Fragen, jedoch bisher keine Antworten. Das BMAS teilte lediglich mit, es habe den Brief „aufmerksam zur Kenntnis genommen“. Außerdem seien weitere Gespräche mit den Vertretern der beteiligten Unternehmen geplant, sodass eine abschließende Bewertung noch nicht möglich sei. Trotzdem besteht die Hoffnung, dass sich jetzt endlich etwas tut beim Thema Scheinselbständigkeit. Denn Selbständige und Verbände stehen nun nicht mehr alleine da, auch auf Auftraggeber-Seite wächst der Widerstand. Konzerne wie Daimler oder BASF kann die Bundesregierung nicht so einfach ignorieren wie Freelancer, die gerne unter Generalverdacht gestellt werden und denen Übertreibung vorgeworfen wird.

Video: VGSD-Vorstandsvorsitzender im Interview

Der VGSD und andere Verbände kämpfen weiter für mehr Rechtssicherheit. Wir haben mit dem Vorstandsvorsitzenden des VGSD, Dr. Andreas Lutz, über die aktuellen Entwicklungen zum Thema gesprochen. Das Video können Sie sich hier ansehen:

 
 

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© Ines Rietzler – exali AG