Projektverträge für IT-Freelancer: Darauf kommt es an
IT-Projekte sind umfangreich und komplex: Grund genug, solche Vorhaben mit einem Projektvertrag zu regeln. Doch worauf müssen Sie als Freelancer achten, um sich gegenüber Unternehmen eine gute Position zu verschaffen? Julia Gertz, Fachanwältin für IT-Recht, verrät uns im Interview, wie das gelingt.
Artikelübersicht:
Machtgefälle im IT-Freelancing: Die Rolle der Vermittelnden
Konstruktiv verhandeln: So bringen Sie Ihre Interessen im Vertrag ein
Häufige Konfliktherde zwischen Unternehmen und IT-Freelancern
Kundenschutzvereinbarungen: Rechtliche Rahmenbedingungen und Best Practices
Faire Projektverträge: Wichtige Aspekte für IT-Freelancer
Zukünftige Entwicklungen in der Vertragsgestaltung: Fachkräftemangel und Haftungsfragen
Machtgefälle im IT-Freelancing: Die Rolle der Vermittelnden
exali: Was ist so problematisch an Standard-Projektverträgen für IT-Freelancer?
Julia Gertz:
Häufig werden IT-Freelancer nicht direkt vom Kundenunternehmen unter Vertrag genommen. Stattdessen sind Mittelspersonen dazwischengeschaltet. Die sind dann direkte Vertragspartnerinnen und -partner des IT-Freelancers. Sie haben aber kein fachliches Interesse am Kundenprojekt, sondern nur an der Vermittlung. Auch vertreten sie nicht die Interessen des Freelancers bei der Kundschaft, sondern nur die eigenen.
Diese Situation führt zu einem deutlichen Machtgefälle in Form von einseitigen Vertragsbedingungen zu Lasten des Freelancers. Außerdem ist es für den einzelnen IT-Freelancer manchmal schwierig, die Konsequenz juristischer Formulierungen zu erkennen. Noch schwieriger ist es, Änderungen des Standard-Projektvertrags zu erreichen.
Gerade große Vermittlerinnen und Vermittler argumentieren gerne, die Verträge seien durch ihre Rechtsabteilung geprüft. Dementsprechend wären Änderungen nicht möglich und alle anderen IT-Freelancer würden diese Verträge problemlos unterschreiben.
Auch wenn jedes Projekt individuell ist: Es gibt bestimmte Punkte, die Sie unbedingt vertraglich regeln sollten. Welche das sind, lesen Sie im Artikel Checkliste Projektvertrag: Die wichtigsten Inhalte und Infos.
Konstruktiv verhandeln: So bringen Sie Ihre Interessen im Vertrag ein
exali: Mit Auftraggebenden zu verhandeln, die oft in einer günstigeren Position sind, kann herausfordernd sein: Haben Sie Tipps für eine gelungene Vertragsverhandlung?
Julia Gertz:
Am wichtigsten ist eine gründliche Vorbereitung. Zuerst sollte man alle Punkte sammeln, die einem im Vertrag als nachteilig auffallen und das jeweilige Risiko bewerten. Überlegen Sie, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn das Risiko eintritt und man an diese Vertragsregelung gebunden ist. Diese Bewertung kann für jeden anders ausfallen - denn sie hängt neben dem fachlichen Risiko (Bugs bei der Entwicklung einer Kfz-Motorsteuerung können schwerwiegendere Folgen haben als die Erstellung einer Vereins-Website) auch von der persönlichen Situation ab.
Beispielsweise sehen viele Standard-Verträge kein ordentliches Kündigungsrecht für den IT-Freelancer vor. Bei einem zeitlich befristeten Dienstvertrag ist eine Kündigung dann nur außerordentlich, also aus sehr wichtigem Grund möglich. Treten während des laufenden Projekts familiäre Probleme auf oder stellt sich das Projekt als unerträglich heraus, ist der IT-Freelancer dennoch an die Projektlaufzeit gebunden und kann nicht vorzeitig kündigen. Ist der Freelancer dagegen jung und hat keine Familie, ist das Risiko eher gering. Das ist auch der Fall, wenn er oder sie die Kundschaft schon kennt oder die Projektlaufzeit kurz ist.
Vertragsverhandlungen mit Weitsicht: Grenzen setzen und Lösungen finden
Sind alle Aspekte bewertet, sollten Freelancer die wichtigsten Punkte zusammengetragen. Jetzt müssen sie entscheiden, welche dieser Punkte so gewichtig sind, dass sie von nicht akzeptiert werden können. Das heißt, kommt die Vertragspartnerin oder der Vertragspartner dem IT-Freelancer hier nicht entgegen, sollte man die Verhandlung besser abbrechen und ein anderes Projekt suchen. Es ist sehr wichtig, sich diese Grenzen klar zu machen, um in der Vertragsverhandlung sicher aufzutreten.
Wenn diese Vorbereitung abgeschlossen sind, können Freelancer Kontakt zur Vertragspartnerin oder zum Vertragspartner aufnehmen. Ich selbst bevorzuge einen konstruktiven Verhandlungsstil. Das bedeutet: Ich erkläre, welche Risiken ich bei einer bestimmten Vertragsbedingung sehe. Anschließend erläutere ich, warum meine Mandantin oder mein Mandant dieses Risiko nicht tragen kann oder diese Regelung unfair ist. Im nächsten Schritt biete ich eine alternative Lösung an, die zu einer fairen Risikoverteilung führt. Dabei sollte man kompromissbereit sein.
Deshalb ist es besser, nicht nur die wichtigsten Punkte mit in die Verhandlung zu nehmen. Nehmen Sie auch weniger wichtige mit, auf deren Durchsetzung Sie auch verzichten können. So können Sie für die wichtigeren Punkte eine akzeptable Lösung zu erreichen. Ich halte es außerdem für entscheidend, stets höflich und zugewandt zu bleiben. So stellen Sie einen guten Kontakt her. In der Sache selbst sollten Sie aber klar und entschieden auftreten.
Häufige Konfliktherde zwischen Unternehmen und IT-Freelancern
exali: Aufgrund Ihrer Tätigkeit kennen Sie sowohl die Seite der Unternehmen als auch die Perspektive der Freelancer: Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Ursachen für gerichtliche Auseinandersetzungen?
Julia Gertz:
Aus meiner Erfahrung sind Unternehmen normalerweise sehr gut darin, Konflikte kaufmännisch zu lösen. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, liegt das meist an fehlender oder mangelhafter Kommunikation, die eine kaufmännische Lösung verhindert hat. Aus rechtlicher Sicht sind die häufigsten Gründe für Gerichtsverfahren: Schlechtleistung, Gewährleistungsthemen, Verzug (Verspätungen bei Werkverträgen), Urheberrechtsverstößen, und Verstöße gegen Kundenschutzverpflichtungen. Aus Perspektive der IT-Freelancer ist der Hauptgrund für Gerichtsverfahren ausbleibende Zahlungen der Kundschaft.
Tipp: Wenn ein Projekt nicht reibungslos verläuft, stellt sich schnell die Frage nach den Rechten und Pflichten der Beteiligten. Im Artikel Fehler und Pannen im Projekt: Das müssen Freelancer wirklich leisten erfahren Sie, was Auftraggebende von Ihnen verlangen dürfen.
Kundenschutzvereinbarungen: Rechtliche Rahmenbedingungen und Best Practices
exali: Kundenschutzvereinbarungen sind oft Bestandteil von Verträgen und sollen Konkurrenz verhindern. Wie weit dürfen solche Vereinbarungen die Tätigkeit von Freelancern einschränken?
Julia Gertz:
Grundsätzlich sind Kundenschutzvereinbarungen zulässig. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die den Einsatz von Kundenschutzklauseln bei IT-Freelancern regelt. Daher sind wir in der rechtlichen Bewertung auf Einzelfallentscheidungen angewiesen – was generelle Aussagen nur eingeschränkt möglich macht. So kann der Kundenschutz bei langen Projektdauern entfallen. Das ist möglich, wenn der IT-Freelancer rechtlich als wirtschaftlich abhängig bewertet und im Vertrag keine sogenannte Karenzentschädigung angeboten wird.
Hier muss aber jeder Fall genau betrachtet und mit der vorhandenen Rechtsprechung abgeglichen werden. Wir können aber davon ausgehen, dass Kundenschutzklauseln in der Dauer für maximal zwei Jahren nach Vertragsende gültig sind und inhaltlich eingeschränkt sein sollten. Der geschützte Kunde sollte klar benannt sein. Unternehmen, die mit diesem Unternehmen rechtlich verbunden sind, sollten nicht in diesen Schutz einbezogen werden. IT-Freelancer sollten auf Folgendes achten:
- Die geschützte Kundschaft sollte im Projektvertrag namentlich benannt sein - inklusive genauer Firmierung und dem Unternehmensstandort.
- bei großen Kundinnen und Kunden mit einer Vielzahl von IT-Projekten sollte man den Kundenschutz auf das konkrete Projekt eingrenzen, um für andere Projekte frei zu bleiben.
Und wenn der IT-Freelancer selbst Kundschaft mitgebracht hat, ist ein Kundenschutz natürlich nicht akzeptabel. Leider sehe ich das doch immer wieder in den mir vorgelegten Verträgen.
Faire Projektverträge: Wichtige Aspekte für IT-Freelancer
exali: Woran erkenne ich als juristischer Laie einen fairen Projektvertrag?
Julia Gertz:
Ein fairer Projektvertrag enthält ausgewogene Regelungen, die die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt. Ein gutes Zeichen bei Dienstverträgen ist ein ordentliches Kündigungsrecht für den IT-Freelancer. So kann der Vertrag auch ohne wichtigen Grund vorzeitig beendet werden. Ebenfalls wichtig ist ein angemessenes Zahlungsziel, das 30 Tage nicht überschreiten sollte. Zudem sollte die Zusammenarbeit nicht als Werkvertrag ausgestaltet sein, wenn der Freelancer eine Beratungsleistung erbringt oder ein bestehendes Team verstärkt.
Zusammengefasst ist ein Werkvertrag nicht angebracht, solange der Freelancer keine eigenständige, eigenverantwortliche und im Voraus klar definierte Leistung erbringt. Gerade der letzte Punkt ist wichtig. Denn mit einem Werkvertrag übernimmt der Freelancer die Verantwortung für die pünktliche Fertigstellung und Fehlerfreiheit. Darüber hinaus müssen Betroffene kostenlose Gewährleistung für später auftretende Fehler leisten.
Zukünftige Entwicklungen in der Vertragsgestaltung: Fachkräftemangel und Haftungsfragen
exali: Die Softwarebranche entwickelt sich schnell – welche Auswirkungen wird das auf die künftige Ausgestaltung von Verträgen haben?
Julia Gertz:
Bereits jetzt sehe ich zwei entgegenwirkende Kräfte, die auf die Vertragskonditionen einwirken und sich voraussichtlich zukünftig noch verstärken: Zum einen der Fachkräftemangel, zum anderen das Abschieben von Verantwortung. Wenn immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, sollte sich die Wettbewerbssituation von IT-Freelancern verbessern und damit die Vertragskonditionen interessengerechter werden. Dieser Effekt bildet sich bisher jedoch noch nicht in der Vertragsgestaltung der Vermittlerinnen und Vermittler ab. Die gängige Haltung ist, Verantwortung möglichst abzuschieben.
Das gilt auch für die Verantwortung für Erfolge beziehungsweise Misserfolge. Sie wird in Projekten gern an die IT-Freelancer abgegeben – das ist in den Standard-Projektverträgen deutlich abzulesen. Unternehmen können festangestellte Mitarbeitende nur sehr eingeschränkt für Fehler verantwortlich machen. Aus diesem Grund versuchen sie häufig, den IT-Freelancer ohne jede Einschränkung in die Haftung zu nehmen. Deshalb sollten Freelancer umso mehr auf vertragliche Haftungsbeschränkungen und den Vertragstyp (besser Dienst- als Werkvertrag) achten. Wir können gespannt sein, wie sich die Vertragsgestaltung der Standard-Projektverträge zukünftig entwickelt.
Julia Gertz ist Fachanwältin für IT-Recht und spezialisiert auf IT-Vertragsrecht. Sie berät Unternehmen, die Software entwickeln oder einkaufen und IT-Freelancer bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung. Mit über 20 Jahren Expertise in diesem Fachgebiet berät sie Mandanten bundesweit und im Ausland, wenn der Projektstandort Deutschland ist.
Vivien Gebhardt ist Onlineredakteurin bei exali. Hier erstellt sie Content zu Themen, die Selbständigen, Freiberufler:innen und Unternehmer:innen unter den Nägeln brennen. Ihre Spezialgebiete sind Risiken im E-Commerce, Rechtsthemen und Schadenfälle, die bei exali versicherten Freelancer:innen passiert sind.
Sie ist selbst seit 2021 als freie Texterin unterwegs und weiß deshalb aus Erfahrung, was die Zielgruppe umtreibt.