Anwaltliche Beratungspflicht – das sind Ihre Pflichten als Jurist:in
Die umfassende Beratung von Mandant:innen ist Teil Ihrer anwaltlichen Tätigkeit. Doch in welchem Umfang sind Sie als Anwältin oder Anwalt tatsächlich zur Beratung verpflichtet und wo bestehen für diese Aufgabe Grenzen? Mit diesen Fragen hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder beschäftigt. Wir fassen die wichtigsten Punkte dieser Rechtsprechung hier für Sie zusammen.
Beratung als Teil des Mandats
Übernehmen Sie ein Mandat, sind Sie natürlich bestrebt, die rechtliche Auseinandersetzung zum Erfolg zu führen. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet eine umfassende Beratung Ihrer Mandant:innen. Denn nur auf diese Weise können diese fundierte Entscheidungen treffen, die sie letztendlich an ihr Ziel bringen.
Die anwaltliche Beratung erstreckt sich dabei auf verschiedene Gebiete, ist aber glücklicherweise begrenzt. Im Folgenden illustrieren wir anhand konkreter Urteile, wie weit die Beratungspflicht reicht und wo sie an ihre Grenzen stößt.
Beratung zu Erfolgsaussichten
Strebt jemand eine rechtliche Auseinandersetzung an, sind Jurist:innen mit der Übernahme des Mandats grundsätzlich verpflichtet, sorgfältig und fortlaufend über die Erfolgsaussichten eines Verfahrens aufzuklären, egal wie gut oder schlecht diese letztendlich ausfallen (BGH, Urteil vom 10.5.2012, IX ZR 125/10). Was passiert, wenn dies nicht geschieht, zeigt das Beispiel einiger Anwältinnen und Anwälte, die nach einer mehrfach von Gerichten abgewiesenen Sammelklage selbst vom Rechtschutzversicherer verklagt wurden.
Sammelklage ohne Erfolgsaussicht
Im Juni 2013 hatten Jurist:innen das Mandat für eine Sammelklage gegen die Vermittler:innen eines Immobilienfonds übernommen. Insgesamt vertragen die Anwältinnen und Anwälte dabei etwa 1.200 Anleger:innen, darunter auch zwei Versicherungsnehmer:innen einer Rechtsschutzversicherung, deren Namen sie kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist Güteanträge bei der zuständigen Gütestelle eingereicht hatten in dem Versuch, die Verjährung noch zu unterbrechen. Im Anschluss leiteten sie im Namen ihrer Mandant:innen eine Sammelklage mit über 1.750 Schadenersatzklagen ein. Der Rechtsschutzversicherer der zwei beteiligten Kläger:innen hatte im Vorfeld die Übernahme anfallender Verfahrenskosten zugesagt.
Das in erster Instanz zuständige Landesgericht wies die Klage aufgrund der Verjährung allerdings ab, sodass die Anwältinnen und Anwälte ein Berufungsverfahren einleiteten. Im Laufe dieses Verfahrens konkretisierte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zu exakt diesem Sachverhalt (BGH 18.6.15, III ZR 198/14). Demnach genügten die eingereichten Güteanträge nicht den rechtlichen Anforderungen – worauf auch das Berufungsgericht ausdrücklich hinwies. Die Jurist:innen ließen sich davon jedoch nicht abschrecken und bestanden dennoch auf das angestrebte Verfahren. Wenig überraschend wies das für die Berufung zuständige Oberlandesgericht die Klage zurück, auch eine anschließende Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH hatte keinen Erfolg.
Rechtsschutzversicherer verlangt Kostenerstattung
Damit nicht genug, sahen sich die Anwältinnen und Anwälte zusätzlich mit einer Klage des Rechtsschutzversicherers konfrontiert. Dieser verlangte die Erstattung der Kosten für alle drei Rechtszüge, da das Verfahren von Vorneherein keine Aussicht auf Erfolg hatte. Nach dem Gang durch zwei Instanzen bejahte der BGH 2021 den Anspruch des Versicherers schließlich gemäß Paragraf 86 des Versicherungsvertragsgesetzes.
Bedeutung für die Praxis
Diese Rechtsprechung des BGH hat unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Praxis von Rechtsanwältinnen und -anwälten:
- Es besteht keine Pflicht für Jurist:innen, einen von Anfang an aussichtslosen Rechtsstreit zu führen
- Sie müssen Ihre Mandant:innen unbedingt darüber aufklären, welche Erfolgsaussichten ein Rechtsstreit hat. Das gilt für die gesamte Dauer des Mandats. Ob die Kosten von einer Rechtsschutzversicherung übernommen werden, ist dabei übrigens irrelevant.
- Teil Ihrer Beratungspflicht ist die Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
- Insgesamt muss die Beratung so erfolgen, dass Ihre Mandant:innen die Chancen und Risiken eines Rechtsstreits als Laien sinnvoll abwägen können – dazu gehört auch die Information über die Aussichtslosigkeit einer juristischen Auseinandersetzung
Dennoch bedeutet die Verletzung der Beratungspflicht nicht automatisch, dass die Kosten für ein Verfahren erstattet werden müssen. Maßgeblich ist die Frage, wie sich eine Mandantin beziehungsweise ein Mandant verhalten hätte, wenn Sie ihn pflichtgemäß unterwiesen hätten. Hier wird die Frage nach einer Rechtsschutzversicherung durchaus relevant, denn wer Versicherungsschutz genießt, agiert bei juristischen Auseinandersetzungen oft risikobereiter. Im eingangs dargestellten Fall war das allerdings zweitrangig, da davon auszugehen ist, dass wohl die Risikobereitschaft der meisten Menschen spätestens dann ein Ende findet, wenn ein Rechtsstreit keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Beruf der Anwältin und des Anwalts birgt einige Risiken, die Sie bei Ihrer Tätigkeit unbedingt berücksichtigen sollten. Im Artikel Anwaltshaftung: Diese Risiken sollten Sie als Anwältin oder Anwalt kennen lesen Sie, worauf es ankommt.
Die Grenzen der anwaltlichen Beratungspflicht
Ein weiteres BGH-Urteil illustriert sehr anschaulich, wie weit Ihre Beratungspflichten tatsächlich gefasst sind: Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, dreht sich um eine Rechtsanwältin, die von ihrer Mandantin auf knapp 30.000 Euro Schadenersatz verklagt wurde. Die Mandantin warf ihrer Anwältin „Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages“ vor.
Konkret ging es um folgenden Sachverhalt: Die Rechtsanwältin vertrat ihre Mandantin in einem Rechtsstreit gegenüber der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wegen der Ablehnung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Widerspruch, den die Anwältin einlegte, war teilweise erfolgreich und die DRV übersandte einen Bescheid, in dem sie der Mandantin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für einen begrenzten Zeitraum bewilligte.
Daneben wies die DRV darauf hin, dass die Arbeitgeber:innen der Mandantin prüfen müssen, ob sie dieser einen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung stellen können. Für den Fall, dass dies nicht möglich ist, so die DRV, könnte dann ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bestehen.
Streit um den Weiterbeschäftigungsantrag
Die Rechtsanwältin leitete den Bescheid an ihre Mandantin weiter mit dem Hinweis, dass die Möglichkeit eines weiteren Widerspruchs besteht. Auch den Hinweis wegen des Teilzeitarbeitsplatzes leitete sie weiter mit der Bitte, die Mandantin solle ihn ihrem Arbeitgeber übergeben.
Die Arbeitgeber:innen der Mandantin, eine Sparkasse, teilte daraufhin mit, dass sie dieser einen Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung stellen können. Ein paar Wochen später nahm die Sparkasse diese Zusage aber wieder zurück, weil die Arbeitnehmerin keinen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt habe. Diesen hätte sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Rentenbescheids stellen müssen (gemäß Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der Sparkassen).
Als Jurist:in sind Sie gesetzlich verpflichtet, sich mit einer Berufshaftpflicht gegen die Konsequenzen beruflicher Versäumnisse abzusichern. Welche Kosten dabei auf Sie zukommen, lesen Sie im Artikel Was kostet eine Berufshaftpflichtversicherung?
LG, OLG und schließlich BGH
Die Mandantin war der Meinung, ihre Anwältin hätte sie auf diesen Weiterbeschäftigungsantrag und die Frist hinweisen müssen und verklagte sie vor dem Landgericht auf Schadenersatz. Das Landgericht wies die Klage ab, woraufhin die Klägerin vor das OLG zog, welches ihr teilweise Recht gab. Laut OLG hat die Anwältin eine Nebenpflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt, weil sie nicht auf die zweiwöchige Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag hingewiesen hat.
Letztendlich landete der ganze Fall vor dem BGH. Dieser widerspricht der Entscheidung des OLG deutlich (Urteil vom 21.06.2018, Az: IX ZR 80/17). Zunächst einmal definiert er die anwaltliche Beratungspflicht wie folgt:
- Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten einer Anwältin oder eines Anwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und dem Einzelfall
- In den Grenzen des erteilten Auftrags ist die Rechtsanwältin beziehungsweise der Rechtsanwalt grundsätzlich zur umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seiner Mandant:innen verpflichtet
- Sie/Er muss seine Mandant:innen über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und sie vor Irrtürmern schützen. Zudem muss sie/er Mandant:innen zu den Schritten raten, die zum erstrebten Ziel führen und sie vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen und Schäden bewahren.
Ihr Schutz bei Beratungsfehlern
Trotz gewisser Beschränkungen werden an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie deren Beratungspflichten hohe Ansprüche gestellt. Da kann es schnell passieren, dass sich Mandant:innen falsch beraten fühlen und vor Gericht ziehen. Entscheidet dieses gegen Sie, kann eine hohe Schadenersatzzahlung die Folge sein. In solch einem Fall schützt Sie die Anwalts-Haftpflicht über exali. Der Versicherer prüft, ob die an Sie gestellte Forderung berechtigt ist und kommt im Fall der Fälle für die Schadensumme auf. Entbehrt ein Anspruch jeglicher Grundlage, wehrt der Versicherer diesen in Ihrem Namen ab.
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BGH: Es zählt der Inhalt des Mandatsverhältnisses
Entscheidend ist laut BGH aber der Inhalt des Mandatsverhältnisses. Und dieser war im vorliegenden Fall die Wahrnehmung der Interessen gegenüber der Deutschen Rentenversicherung, nicht aber gegenüber der Arbeitgeberin der Klägerin. Die Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag betrifft laut BGH das Mandatsverhältnis nicht unmittelbar, weil es dabei um ein Recht gegenüber der/dem Arbeitgeber:in geht, nicht aber gegenüber der Rentenversicherung. Daher liege diese Angelegenheit außerhalb des eigentlichen Mandats.
Jurist:innen können nicht alles wissen
Die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Beratungspflichten von Rechtsanwältinnen und -anwälten stellt, betreffen laut BGH den konkreten Mandatsauftrag, nicht aber darüberhinausgehende Rechtsgebiete: „Diese Kenntnisse und Fähigkeiten können jedoch nicht allgemein, jederzeit und unter allen Umständen verlangt werden. Solchen Anforderungen könnte niemand gerecht werden.“
Voraussetzungen für Beratungspflichten, die über das Mandat hinausgehen
Beratungspflichten, die über den eigentlichen Auftrag hinausgehen, setzen voraus, dass die drohenden Gefahren für die Mandantin oder den Mandanten der/dem Jurist:in bekannt oder für sie/ihn offenkundig sind oder sie/er bei ordentlicher Bearbeitung des Mandats regelrecht darüber stolpern müsste. Außerdem davon auszugehen sein, dass der Mandantin oder dem Mandanten die drohenden Gefahren nicht bewusst sind. Von einer Anwältin, die auf das Sozialrecht spezialisiert ist, kann daher nicht verlangt werden, dass sie sich mit speziellen Regelungen aus dem Arbeitsrecht auskennt, so der BGH. Die grundsätzliche Ansicht des BGH, dass Beratungs- und Hinweispflichten von Anwältinnen und Anwälten auf den erteilten Auftrag begrenzt sind, ist also von großer Bedeutung für die juristische Arbeit – denn er beschränkt die an Jurist:innen gestellten Anforderungen auf ein realistischeres Maß.
Vivien Gebhardt ist Onlineredakteurin bei exali. Hier erstellt sie Content zu Themen, die Selbständigen, Freiberufler:innen und Unternehmer:innen unter den Nägeln brennen. Ihre Spezialgebiete sind Risiken im E-Commerce, Rechtsthemen und Schadenfälle, die bei exali versicherten Freelancer:innen passiert sind.
Sie ist selbst seit 2021 als freie Texterin unterwegs und weiß deshalb aus Erfahrung, was die Zielgruppe umtreibt.