BGH grenzt Beratungspflichten von Rechtsanwälten ein
In welchem Umfang müssen Rechtsanwälte ihre Mandanten beraten und wann hört ihre Beratungspflicht auf? Und inwieweit müssen Rechtsanwälte auf Gefahren und Probleme hinweisen, auch wenn diese nicht direkt mit ihrem eigentlichen Mandant zusammenhängen? Mit diesen Fragen musste sich kürzlich der BGH beschäftigen und hat eine für alle Rechtsanwälte wichtige Entscheidung gefällt.
Mandantin verlangt 30.000 Euro Schadenersatz
Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, dreht sich um eine Rechtsanwältin, die von ihrer Mandantin auf knapp 30.000 Euro Schadenersatz verklagt wurde. Die Mandantin warf ihrer Anwältin „Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages“ vor.
Konkret ging es um folgenden Sachverhalt: Die Rechtsanwältin vertrat ihre Mandantin in einem Rechtsstreit gegenüber der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wegen der Ablehnung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Widerspruch, den die Anwältin einlegte, war teilweise erfolgreich und die DRV übersandte einen Bescheid, in dem sie der Mandantin eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für einen begrenzten Zeitraum bewilligte.
Daneben wies die DRV darauf hin, dass der Arbeitgeber der Mandantin prüfen muss, ob er dieser einen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung stellen kann. Für den Fall, dass dies nicht möglich ist, so die DRV, könnte dann ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bestehen.
Streit um den Weiterbeschäftigungsantrag
Die Rechtsanwältin leitete den Bescheid an ihre Mandantin weiter mit dem Hinweis, dass die Möglichkeit eines weiteren Widerspruchs besteht. Auch den Hinweis wegen des Teilzeitarbeitsplatzes leitete sie weiter mit der Bitte, die Mandantin solle ihn ihrem Arbeitgeber übergeben.
Die Arbeitgeberin der Mandantin, eine Sparkasse, teilte daraufhin mit, dass sie dieser einen Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung stellen kann. Ein paar Wochen später nahm die Sparkasse diese Zusage aber wieder zurück, weil die Arbeitnehmerin keinen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt habe. Diesen hätte sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Rentenbescheids stellen müssen (gemäß Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der Sparkassen).
LG, OLG und schließlich BGH
Die Mandantin war der Meinung, ihre Anwältin hätte sie auf diesen Weiterbeschäftigungsantrag und die Frist hinweisen müssen und verklagte sie vor dem Landgericht auf Schadenersatz. Das Landgericht wies die Klage ab, woraufhin die Klägerin vor das OLG zog, welches ihr teilweise Recht gab. Laut OLG hat die Anwältin eine Nebenpflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt, weil sie nicht auf die zweiwöchige Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag hingewiesen hat.
Letztendlich landete der ganze Fall vor dem BGH. Dieser widerspricht der Entscheidung des OLG deutlich (Urteil vom 21.06.2018, Az: IX ZR 80/17). Zunächst einmal definiert er die Beratungspflichten eines Anwalts wie folgt:
- Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Anwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und dem Einzelfall
- In den Grenzen des erteilten Auftrags ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet
- Er muss seine Mandanten über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und sie vor Irrtürmern schützen. Er muss dem Mandanten die Schritte raten, die zum erstrebten Ziel führen und ihn vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen und Schäden bewahren.
BGH: Es zählt der Inhalt des Mandatsverhältnisses
Entscheidend ist laut BGH aber der Inhalt des Mandatsverhältnisses. Und dieser war im vorliegenden Fall die Wahrnehmung der Interessen gegenüber der Deutschen Rentenversicherung, nicht aber gegenüber der Arbeitgeberin der Klägerin. Die Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag betrifft laut BGH das Mandatsverhältnis nicht unmittelbar, weil es dabei um ein Recht gegenüber dem Arbeitgeber geht, nicht aber gegenüber der Rentenversicherung. Daher liege diese Angelegenheit außerhalb des eigentlichen Mandats.
Ein Anwalt kann nicht alles wissen
Die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Beratungspflichten eines Rechtsanwalts stellt, betreffen laut BGH den konkreten Mandatsauftrag, nicht aber darüber hinausgehende Rechtsgebiete: „Diese Kenntnisse und Fähigkeiten können jedoch nicht allgemein, jederzeit und unter allen Umständen verlangt werden. Solchen Anforderungen könnte niemand gerecht werden.“ Kurz gesagt: Auch ein Anwalt kann nicht alles wissen!
Voraussetzungen für Beratungspflichten, die über das Mandat hinausgehen
Beratungspflichten, die über den eigentlichen Auftrag hinausgehen, setzen voraus, dass die drohenden Gefahren für den Mandanten dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig sind oder er bei ordentlicher Bearbeitung des Mandats regelrecht darüber stolpern müsste. Außerdem muss der Anwalt davon ausgehen können, dass die drohenden Gefahren dem Mandanten nicht bewusst sind. Von einer Anwältin, die auf das Sozialrecht spezialisiert ist, kann nicht verlangt werden, dass sie sich mit speziellen Regelungen aus dem Arbeitsrecht auskennt, so der BGH.
OLG-Urteil sehr bedeutsam für Anwälte
Da das OLG einige Fragen noch nicht abschließend geklärt hatte, zum Beispiel, ob die beklagte Rechtsanwältin möglicherweise die drohende Gefahr für ihre Mandantin doch hätte erkennen müssen, hat der BGH die Sache zur weiteren Aufklärung dorthin zurückverwiesen. Jedoch ist die grundsätzliche Ansicht des BGH, dass Beratungs- und Hinweispflichten von Anwälten auf den erteilten Auftrag begrenzt sind, von großer Bedeutung für die Arbeit von Rechtsanwälten.
Auf die richtige Anwalts-Haftpflicht setzen
Trotz der Meinung des BGH werden an Rechtsanwälte und deren Beratungspflichten hohe Ansprüche gestellt. Da kann es schnell passieren, dass sich ein Mandant falsch beraten fühlt und er vor Gericht zieht. Entscheidet dieses gegen den Anwalt, kann eine hohe Schadenersatzzahlung die Folge sein. In solch einem Fall schützt die Anwalts-Haftpflicht über exali.de optimal. Durch den integrierten passiven Rechtsschutz prüft sie, ob die Forderung berechtigt ist und bezahlt eine berechtigte Schadenersatzforderung. Da die Anwalts-Haftpflicht über exali.de mit der Zeit geht, sind z. B. auch Veröffentlichungsrisiken in den Sozialen Medien und Fachveröffentlichungen mitversichert. Zudem gibt es bei exali.de kein Callcenter und keine Warteschleifen, Ihr persönlicher Ansprechpartner ist jederzeit für Sie da.
Weitere interessante Artikel:
- Post- und Telekommunikationspauschale: Wann darf der Anwalt sie verlangen?
- Anwältin bekommt kein Honorar – zu Recht sagt der BGH!
- BGH: Anwaltliche Mediatoren haften wie Anwälte
© Ines Rietzler – exali AG