Anwaltshaftung: Diese Risiken sollten Sie als Anwältin oder Anwalt kennen
Al Jurist:in sind Sie Problemlöser:in für Ihre Mandant:innen und übernehmen viel Verantwortung. Oft geht es bei den Rechtsstreitigkeiten um viel Geld, das über ganze Existenzen entscheidet. Das bedeutet jede Menge Verantwortung und im schlimmsten Fall weitreichende Konsequenzen, wenn Ihnen im Rahmen eines Mandats ein Fehler unterläuft. Ein Klassiker der Anwaltshaftung ist das Fristversäumnis. Doch wann haften Sie Rahmen Ihrer Tätigkeit tatsächlich, wenn Sie eine wichtige Frist vergessen? Wo können weitere Haftungsfälle entstehen? Welche neuen Risiken entstehen mit der zunehmenden Digitalisierung der Kanzlei? Im Artikel haben wir die Antworten auf diese und weitere Fragen rund um das Thema Anwaltshaftung für Sie zusammengefasst.
Wann besteht Anwaltshaftung?
Wenn Sie als Anwältin oder Anwalt ein Mandat übernehmen, bringt das Pflichten mit sich, die Sie gegenüber Ihrer/Ihrem Auftraggeber:in erfüllen müssen. Festgehalten werden diese Pflichten für gewöhnlich in einem sogenannten Geschäftsbesorgungsvertrag. Damit schulden Sie zwar kein konkretes Resultat, wie zum Beispiel einen Prozesserfolg. Doch Sie sind verpflichtet, Ihre Dienstleistung gegenüber den Klient:innen ordnungsgemäß zu erfüllen. Tun Sie das nicht und verletzen schuldhaft Ihre vertraglich festgesetzten Pflichten, müssen Sie Ihren Mandant:innen den daraus entstanden Schaden ersetzen.
Ein typischer Fall einer Pflichtverletzung ist das Versäumen einer Frist. Denn nicht selten entscheidet der rechtzeitige Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht über die erfolgreiche Entwicklung eines Prozesses. Doch was tun, wenn Ihnen eine Frist tatsächlich einmal entgangen ist?
Fristversäumnis: Ein Klassiker der Anwaltshaftung
Die Einhaltung von Fristen gehört in Anwaltskanzleien zum Tagesgeschäft, sorgt aber dennoch regelmäßig für Haftungsfälle. Denn das Versäumen einer Frist ist Jurist:innen nach § 85 der Zivilprozessordnung (ZPO) als Anwaltsverschulden anzurechnen. Seit dem 01. Januar 2022 haben sich neue Fragestellungen zur Fristwahrung ergeben, denn seit diesem Zeitpunkt besteht die Pflicht zur Nutzung des beA, des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, das die sichere elektronische Kommunikation mit Justiz, Behörden und anderen Jurist:innen ermöglichen soll. Inzwischen haben die Gerichte zur ordnungsgemäßen Nutzung einige Urteile erlassen – unter anderem zur Fristwahrung per beA. Entscheidend ist demnach stets der Zeitpunkt, zu dem ein Schriftsatz auf dem Gerichtsserver eingeht.
Welche Risiken die Nutzung des beA mit sich bringen kann, haben wir in diesem Artikel für Sie zusammengefasst: Was Sie bei der Nutzung des beA zu beachten ist
Technikprobleme im Gericht – keine Konsequenzen für den Anwalt
So musste der Bundesgerichtshof (BGH) über einen Fall entscheiden, in dem der Anwalt eines Berufungsklägers die Begründungsschrift ordnungsgemäß innerhalb der Frist an das zuständige Oberlandesgericht übersandt hatte. Aufgrund eines technischen Fehlers fand der Schriftsatz weder den Weg zur elektronischen Akte des Senats noch in die Papierakte. Aus Sicht des Berufungsgerichts ergab sich hier dementsprechend eine Fristversäumnis, auf die es den Kläger schriftlich hinwies. Erst einen Monat später wollte der Anwalt dem Gericht mit einem Screenshot der Eingangsbestätigung beweisen, dass er den Schriftsatz rechtzeitig eingereicht hatte. Da hatte das Berufungsgericht die Klage allerdings schon längt verworfen.
Der Berufungskläger legte am BGH erfolgreich eine Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss ein. Die Richter:innen begründeten ihr Urteil wie folgt:
„Der rechtzeitige Eingang eines über das beA eingereichten Schriftsatzes auf dem Gerichtsserver genügt gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO zur Fristwahrung (BGH, Beschluss v. 14.5.2020, X ZR 119718).“
Technische Fehler innerhalb des Gerichts spielen demnach für die Fristwahrung keine Rolle (BGH, Beschluss v. 28.5.2020, I ZR 214/19). Daran ändert auch die verspätete Stellungnahme des Klägers nichts (BGH, Beschluss v. 25.8.2020, VI ZB 79/19). Vorgänge, die im Zuständigkeitsbereich des Gerichts liegen, dürfen sich also nicht nachteilig für Anwältinnen und Anwälte auswirken.
Frist versäumt – was tun?
Haben Sie nun tatsächlich einmal eine Frist versäumt, stehen Ihnen je nach Einzelfall verschiedene Optionen offen, um Ihren Fehler rückgängig zu machen. Ist ihnen beispielsweise eine Notfrist nur mit geringen Verschulden entgangen, besteht bei Gerichts- und Verwaltungsverfahren die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihre verspätete Handlung gilt dann als fristgerecht, auch wenn die Frist ans ich nicht verlängert wird. Wurden in der Zwischenzeit andere Entscheidungen gefällt, dann sind diese wirkungslos. Ziel ist es, glaubhaft zu vermitteln, dass Sie die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt haben, aber eine Einhaltung der Frist dennoch nicht möglich war, zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder wegen eines technischen Ausfalls. Die Anforderungen hierfür sind allerdings hoch – wie auch eine Anwältin in einem Verfahren schmerzhaft lernen musste.
Da ihr beA nach eigenen Angaben nicht nutzbar war, hatte sie einige Anträge kurzerhand per Fax ans Gericht übermittelt, inklusive eine E-Mail des beA-Servicedesks, um zu beweisen, dass ihr Postfach am Sendetag nicht nutzbar war. Ihre Anträge wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW jedoch zurück mit der Begründung, dass es die Pflicht der Anwältin sei, die benötigten technischen Einrichtungen bereitzustellen und Ausfälle dadurch abzufedern. Das Fax hat nicht ausgereicht, um glaubhaft zu bewiesen, dass die Anwältin ihrer Verantwortung hier nachgekommen ist (31.3.22, 19 A 448/22.A, Abruf-Nr. 229840).
Ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Kanzleien ist die Möglichkeit einer Cyberattacke. Viele Anwälte sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie ganz bewusst von Cyberkriminellen als Opfer ausgesucht werden, da der Ausfall der IT in einer Kanzlei oder die Veröffentlichung vertraulicher Mandantendaten im Netz für sie besonders fatal ist. Immer häufiger werden Fälle von Ransomware-Angriffen und Cybererpressung bei Anwaltskanzleien bekannt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Im Artikel Cyber Risiken: Das droht Ihnen und so können Sie sich absichern erfahren Sie, wo die größten Risiken lauern und wie Sie sich schützen können.
Wann sind Sie als Jurist:in haftbar?
Die hier präsentierten Urteile zeigen deutlich: Die an Jurist:innen gestellten Anforderungen hinsichtlich der erforderlichen beruflichen Sorgfalt sind hoch – halten Sie diese nicht ein, begehen Sie eine Pflichtverletzung, für die Sie unter Umständen haftbar gemacht werden können. Doch was nach einem unumstößlichen Grundsatz klingt, erweist sich in der Praxis oftmals als wesentlich komplexer. Zum Thema Anwaltshaftung besteht eine umfassende Rechtsprechung – Regressfälle geschädigter Mandanten beschäftigen die Gerichte regelmäßig. Fakt ist: Die Anforderungen an die Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen ist hoch – der Staat erwartet von Ihnen umfassendes Wissen bezüglich der aktuellen Gesetzeslage. Doch aufgrund der komplexen Rechtsprechung unterlaufen selbst versierten Jurist:innen Fehler. Andererseits suchen enttäuschte Klient:innen auch immer wieder Schuldige für einen erfolglos geführten Rechtsstreit. Daher lohnt es, sich mit der Materie der Anwaltshaftung einmal eingehender zu beschäftigen.
Grundsätzlich gilt: Haftbar sind Sie als Anwältin oder Anwalt nur dann, wenn Ihr:e Auftraggeber:in die rechtliche Auseinandersetzung ohne Ihr schuldhaftes Versäumnis gewonnen hätte.
Welche Pflichten haben Anwältinnen und Anwälte?
Wie eingangs erwähnt, sind Sie als Jurist:in verpflichtet, Ihre Dienstleistung ordnungsgemäß zu erbringen. Doch was bedeutet das konkret? Gemeint ist damit die Einhaltung anwaltlicher Pflichten gemäß § 43 der Bundesrechtsanwaltsverordnung (BRAO). Dazu gehören unter anderem:
- Sie üben Ihren Beruf gewissenhaft aus.
- Sie halten sich an die Verschwiegenheitspflicht.
- Sie bilden sich regelmäßig weiter.
- Sie gehen keine Bindung ein, die sich negativ auf Ihre berufliche Unabhängigkeit auswirkt.
- Sie gehen sorgfältig mit Ihnen anvertrauten Vermögenswerten um.
- Sie vertreten keine widersprüchlichen Interessen.
- Sie vermeiden unsachliches Verhalten.
Für die Übernahme eines Mandats heißt das:
- Sie können zwar auf die Angaben Ihrer/Ihres Klient:in vertrauen und müssen nicht dem kompletten Fall selbst nachgehen. Achten Sie aber unbedingt darauf, den Sachverhalt so zu erfassen, dass Sie die Rechtslage ordnungsgemäß prüfen und ermitteln können, wie Sie das von der Mandantin oder vom Mandant:in gewünschte Ergebnis erreichen können.
- Um zum angestrebten Resultat zu kommen, müssen Sie den sichersten Weg wählen.
- Während des gesamten Mandats obliegt es Ihnen, Ihre:n Auftraggeber:in rechtlich umfassend zu beraten (Beratungspflicht) und vor Risiken zu warnen (Aufklärungspflicht). Das umfasst beispielsweise die Aufklärung darüber, welche Rechtsmittel zu Verfügung stehen, welche Risiken ein Prozess vor Gericht mit sich bringt, welche Folgen ein Vergleich hat oder auch, welche Fristen es einzuhalten gilt.
Erfüllen Sie diese Punkte nicht und entsteht Ihrer Mandantin oder Ihrem Mandanten dadurch ein Schaden, können Sie haftbar gemacht werden. Zudem drohen Ihnen bei Pflichtverstößen gemäß § 114 BRAO Warnungen, Verweise und Geldbußen bis zu 25.000 Euro. Im schlimmsten Fall verbietet Ihnen das Anwaltsgericht für ein bis fünf Jahre auf bestimmten Gebieten als Vertreter:in tätig zu werden oder Sie werden vollständig aus der Anwaltschaft ausgeschlossen.
Wann liegt ein Haftungsfall vor?
Droht Ihnen ein:e Mandant:in mit Haftungsansprüchen, können Sie selbst im ersten Schritt abschätzen, ob überhaupt ein Haftungsfall vorliegt. Denn Fälle von Anwaltshaftung folgen in der Regel einem gleichbleibenden Schema:
- Sie erhalten beispielsweise einen Auftrag zur Klageerhebung aufgrund einer Forderung.
- Bei der Ausführung des Auftrags unterläuft Ihnen ein Fehler.
- Aufgrund dieses Fehlers wird die Klage vor Gericht abgewiesen.
- Nun ist ein Nachweis notwendig, dass die Klage ohne Ihren Fehler zugelassen worden wäre.
- Ist das der Fall, sind Sie in Höhe der Forderung schadenersatzpflichtig.
Anspruchsgrundlage
Die Grundlage für Ihre Haftung als Anwältin oder Anwalt liegt im geschlossenen Vertrag in Verbindung mit den §§ 280 und folgende BGB begründet. Um den Schaden zu ermitteln, den Ihr:e Mandant:in durch ihr Versäumnis erlitten hat, wird eine sogenannte Differenzhypothese angestellt. Dabei wird die Vermögenslage in Folge der Pflichtverletzung der theoretischen finanziellen Lage ohne Pflichtverletzung gegenübergestellt. Ziel ist es, die/den Geschädigt:en wieder in die Position zu versetzen, die sie/er auch dann gehabt hätte, hätte eine Anwältin oder ein Anwalt sie/ihn ordentlich beraten.
Die Beweislast hierfür liegt jedoch bei Ihrer/Ihrem Klient:in. Sie/er muss stichhaltig beweisen, dass ein schuldhaftes anwaltliches Versäumnis für einen entstandenen Schaden verantwortlich ist. Stellt sich allerdings heraus, dass ein:e Jurist:in zum Beispiel zu einem völlig aussichtlosen Prozess geraten hat, dann liegt definitiv ein Fall von Anwaltshaftung vor und sie/er muss der/dem Geschädigten die angefallenen Kosten für Anwältinnen und Anwälte sowie für das Gericht zurückerstatten.
Wann verjährt die Anwaltshaftung?
Wie viele andere Schadenersatzansprüche auch, verjähren Ansprüche aus Anwaltshaftung gemäß § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nach drei Jahren. Die Frist beginnt, sobald ein:e Mandant:in von der Pflichtverletzung erfährt beziehungsweise bei der gebotenen Sorgfalt hätte erfahren müssen. Dieser Zeitpunkt liegt meist bei der ersten Abweisung der Klage.
Auch das Thema Datenschutz sorgt immer wieder für Haftungsfälle. Deshalb haben wir im Artikel DSGVO-Gesetze im Internet: Die wichtigsten Urteile und Risiken wichtige Entwicklungen beleuchtet, die auch Jurist:innen kennen sollten.
Umfassender Schutz für Anwältinnen und Anwälte
Ob eine versäumte Frist, ein Beratungsfehler oder eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht: Unterläuft Ihnen als Anwältin oder Anwalt ein berufliches Versäumnis, drohen im schlimmsten Fall horrende finanzielle Konsequenzen. Die Anwaltshaftpflicht über exali bietet Ihnen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Versicherung verlässlichen Schutz vor Vermögensschäden und sichert den Kanzleibetrieb auch gegen Personen- und Sachschäden ab.
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Vivien Gebhardt ist Onlineredakteurin bei exali. Hier erstellt sie Content zu Themen, die Selbständigen, Freiberufler:innen und Unternehmer:innen unter den Nägeln brennen. Ihre Spezialgebiete sind Risiken im E-Commerce, Rechtsthemen und Schadenfälle, die bei exali versicherten Freelancer:innen passiert sind.
Sie ist selbst seit 2021 als freie Texterin unterwegs und weiß deshalb aus Erfahrung, was die Zielgruppe umtreibt.